"Wir wurzeln alle im Alltage.
Seine Gewohnheiten machen für die
meisten schlechthin das Leben aus.
In diesem Alltag, den bloss der unbesonnene
Élegant des Geistes bespöttelt, liegt etwas
sehr Grosses ... liegt unsere Cultur."
Michael Haberlandt: Cultur im Alltag. Wien 1900.



Donnerstag, 14. Februar 2013

HÖRSACHE NR. 13: Nylonstrümpfe



Nylonstrümpfe

© Wien Museum


Seit September 2012 sendet Ö1 im Rahmen von Leporello die von Wolfgang Popp in Zusammenarbeit mit dem Wien Museum und dem Technischen Museum Wien gestaltete Jahres-Serie „Zum Greifen nah. Gegenstände erzählen Geschichte“, in der ausgewählte Alltagsdinge aus den Sammlungen der beiden Museen porträtiert werden.
Am 11. Februar 2013 begab sich die Sendung in das Jahr 1952, widmete sich einem Paar Nylonstrümpfe und ging der Frage nach, wieso diese in der damaligen Zeit über ihre praktische Bedeutung als Kleidungsstücke hinaus auch stark symbolisch aufgeladen waren (Interview mit Susanne Breuss).

Die Geschichte von Nylon beginnt bereits vor dem Zweiten Weltkrieg: 1937 meldete der US-amerikanische Chemiekonzern Du Pont die Kunstfaser Nylon zum Patent an und präsentierte sie zwei Jahre später stolz auf der Weltausstellung in New York: Es war die erste vollsynthetische Textilfaser. Zur gleichen Zeit wurde im nationalsozialistischen Deutschland das nahezu identische Perlon entwickelt und produziert. In beiden Ländern nutzte man die neu entwickelten Fasern zwar schon bald auch für die Herstellung von Damenstrümpfen, zunächst kam ihnen allerdings vor allem eine kriegsrelevante Rolle zu. In beiden Ländern wurden die Fasern für militärische Zwecke genutzt. Für Deutschland war Perlon zudem im Rahmen seiner Autarkiepolitik relevant - und für die Herstellung von Männerfußbekleidung, nämlich strapazierfähiger Socken für die Wehrmachtssoldaten. Auch das Kriegsende ist eng mit diesen Fasern verknüpft: Mit Nylon-Fallschirmen landeten die Alliierten in Westeuropa.

Aus Fallschirmseide wurden dann nach dem Krieg in Ermangelung anderer Stoffe häufig Kleidungsstücke genäht und der von der Firma Palmers bereits 1942 entwickelte "Strumpfzauber" war noch immer als Ersatzmittel im Einsatz: "Auch ohne Strümpfe schöne Beine" lautete der Slogan für das hautfärbende Schminkprodukt, das den Anschein bestrumpfter Damenbeine erwecken sollte, mit einer "Naht" aus Augenbrauenstift. Echte Nylonstrümpfe gab es zwar ebenfalls wieder, doch in Österreich und Deutschland waren sie noch purer Luxus und entsprechend heiß begehrt. Sie kamen mit den amerikanischen GI's in die westlichen Besatzungszonen und galten wie andere damals geradezu mythisch überhöhte Konsumgüter wie Coca Cola oder Blue Jeans als Symbole für den amerikanischen Lifestyle. Sie dienten auf dem Schwarzmarkt als Zahlungsmittel und sie galten im Hinblick auf Beziehungen zwischen amerikanischen Soldaten und einheimischen Frauen vielen als Symbol für käufliche Liebe. 

Jedenfalls aber waren Frauenbeine in Nylonstrümpfen (Perlon durfte erst später wieder produziert werden) ein Zeichen für den Aufbruch in ein neues Leben und bedeuteten ein Gegenprogramm zu den Jahre lang herrschenden Bildern von der gebärfreudigen "Deutschen Mutter" und der aufopfernden "Trümmerfrau". Diese Form der (Re-)Sexualisierung kam allerdings nicht bei allen gut an, so manches Werbeplakat für die Strümpfe aus der modernen Wunderfaser galt als unsittlich und unzüchtig, und Beschimpfungen wie "Amiflittchen" waren keine Seltenheit. 
Erst als sich ab den späten 1940er Jahren eine Normalisierung der Versorgungslage abzeichnete und ab den 1950er Jahren Kleidungsstücke allmählich wieder in ausreichender Menge produziert wurden, konnten sich die Nylon- und später auch die Perlonstrümpfe nach und nach zur alltäglichen Beinbekleidung entwickeln. Die 1950er Jahre waren wie auch noch die 1960er Jahre durch sehr hohe Steigerungsraten in Produktion und Konsum von Nylon und Perlon gekennzeichnet - wobei die Strümpfe bald zahlreiche Brüder und Schwestern in Form von Hemden, Blusen, Unterwäsche etc. erhielten

Trotz ihrer schweißtreibenden Wirkung standen Kleidungsstücke aus Synthetics ganz oben in der Beliebtheitsskala, denn sie waren leicht zu pflegen, reiß- und scheuerfest, hatten eine gute Paßform und ein geringes Gewicht (was sie gerade auch im Zusammenhang mit der aufkommenden Reise- und Ausflugswelle zu beliebten Begleitern machte). Chemiefasern haftete damals noch nicht jener negative Beigeschmack an, der sich ab den späten 1960ern bemerkbar machen sollte, sie standen noch für eine komfortable, unbeschwerte Lebensweise und einen modernen, fortschrittlichen Lebensstil. Den Nylon- und Perlonstrümpfen fehlte allerdings eine Eigenschaft, die ihnen anfangs noch nachgesagt wurde: Sie waren nicht laufmaschenfrei - doch zur Behebung dieser häufigen Malheure gab es angesichts der noch immer hohen Preise der Strümpfe eigene Reparatureinrichtugnen, die Repassierwerkstätten        


Website "Zum Greifen nah"  
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